Selbstsabotage ist einfacher als Schreiben: Mit einer No-Bullshit-Einstellung gegen Ausreden

Schreiben ist schwierig, schreiben ist hart. Wenn wir uns nicht hinsetzen und schreiben, entsteht auch kein Text. Klingt trivial, erweist sich aber im Alltag von beruflich Schreibenden als grosse Hürde. Denn die Versuchung, etwas Anderes, Angenehmeres zu machen, lauert stets um die Schreibtischecke. Als Textberater und Coach unterstütze ich Schreibende dabei vorwärtszukommen anstatt vor lauter Ausreden und Selbstsabotage an der Stelle zu treten. 

Schreiben mit Gegenwind 

Alle Schreibenden sehen sich mit Gegenwind konfrontiert. Er bläst ihnen in Form von Selbstzweifeln, Ängsten, Prokrastination, Ablenkungen und anderen kontraproduktiven Dingen und Gewohnheiten entgegen – kurz: Selbstsabotage. Der Schriftsteller und Drehbuchautor Steven Pressfield nennt diesen Gegenwind “resistance”. Dieser Widerstand wird nie verschwinden. Wie Schreibende damit umgehen, ist entscheidend. 

Statt täglich das Bad zu putzen, bis die Fliesen durchgescheuert sind, die neuste Krimiserie am Stück durchzugucken oder unwichtige und nicht dringende Aufgaben abzuarbeiten, müssen sich Schreibende der Wahrheit stellen. 

Regelmässig schreiben, statt Ausreden zu rezitieren 

Aus eigener Erfahrung weiss ich, wie viele hanebüchene Ausreden wir Schreibende uns selbst und anderen erzählen. Und ich weiss, dass sie zu Frustration, mehr Zweifeln und schlechtem Gewissen, aber nicht dem ersehnten Text führen. Um daran etwas zu ändern, müssen wir uns bewusst werden, welchen Quatsch wir erzählen und machen. Nein, das Bad ist sauber genug; den Krimi kann bis nach der Schreibarbeit warten; mit Freunden Kaffee trinken gehen, wenn mein Tageshoch wäre, ist keine gute Idee; und nein, ich muss meinen negativen und zweifelnden Gedanken nicht alles glauben, was sie zusammendichten. Wir brauchen eine mentale No-Bullshit-Einstellung. 

Mittel gegen den Widerstand 

Wenn ich jemanden im Schreibprozess coache, werde ich bei Ausreden und Selbstsabotage hellhörig. Anstatt um den heissen Brei zu reden, benenne ich die Ausreden. Auch wenn die Schreibenden im ersten Moment geschockt sein dürften, dass ich ihre Gründe als Ausreden bezeichne, ist genau das notwendig. Ich gebe ihnen eine Starthilfe, um in Zukunft ihren eigenen mentalen Bullshit-O-Meter zu entwickeln. Das Ziel ist, sie zum Schreiben zu bringen und weg von langen Begründungen, weshalb sie gerade nicht schreiben können. 

Es gibt viele Mittel, wie wir uns gegen den Widerstand wehren oder in Nutzen können. Hier ein paar Impulse für den Einstieg. 

Verpflichtung 

Nicht jedes Schreibprojekt muss zum Lebensinhalt gemacht werden. Aber es schadet nicht, wenn wir uns verpflichten, unser Bestes zu geben. Vielleicht handelt es sich nur um wenige Tage oder Wochen, auf die wir uns einlassen (kurze Texte wie ein Blogpost, ein Fachartikel, eine Medienmitteilung); vielleicht um Monate oder Jahre (längere Texte wie ein Whitepaper, Geschäftsbericht, eine Abschlussarbeit für die Weiterbildung oder ein Buchprojekt). Unabhängig von der Dauer sollten wir uns der Aufgabe mit der passenden mentalen Einstellung widmen. In erster Linie verpflichten wir uns selbst gegenüber die Aufgabe, das Schreiben und den Text ernst zu nehmen. Erst dann macht es je nach Kontext auch Sinn, andere von unserer Verpflichtung (commitment) zu erzählen (Familie, Freunde, Arbeitskolleg*innen). 
Mit der Verpflichtung gehen wir ein gewisses Risiko ein, nämlich zu scheitern. Aber wenn wir uns nur unseren Ausreden und unserer Selbstsabotage verpflichten, wird kein Text daraus entstehen. Dann scheitern wir auf jeden Fall. Wir betrachten die Verpflichtung besser als Selbstbestärkung, die uns die nötige Energie gibt, dranzubleiben. 

Regelmässigkeit 

Wenn wir uns verpflichtet haben, uns der harten Arbeit des Schreibens zu widmen, sollten wir uns auch dazu verpflichten, regelmässig zu schreiben (wobei schreiben alles einschliesst, was wir tun müssen, um den Text fertigzustellen). Alle Schreibenden müssen herausfinden, was regelmässig für sie bedeutet. Für einige ist es jeden (Arbeits-)Tag, für andere dreimal in der Woche. Auch die Dauer, die wir mit der Textarbeit verbringen, variiert von Person zu Person. Wichtig ist, dass wir Zeitfenster definieren, in denen wir uns auf die Aufgabe einlassen können. Wer vier Stunden plant, aber nach eineinhalb Stunden unkonzentriert von einer Ablenkung in die nächste rutscht, sollte nur eineinhalb Stunden planen (mehr dazu in meinen Buch Der Schreibzeitplan). 

Aufgaben und Ziele definieren 

Mit der Definition von regelmässigen Zeitfenstern macht es Sinn, dass wir vor Beginn einer Schreibsitzung definieren, woran wir arbeiten. Damit meine ich, dass klar ist, was genau die Teilaufgabe ist – so konkret wie möglich – und wie viel ich davon mache. Damit definieren wir den Inhalt und die Menge, die wir in der Schreibsitzung bewältigen wollen. Ziele wie “Ich arbeite am Text” oder “Ich lese einfach mal ein bisschen zum Thema” sind zu allgemein und unbefriedigend. Ziele wie “Ich schreibe drei Absätze zum Argument XY” oder “Ich lese den Fachartikel von X und Y” sind inhaltlich und mengenmässig konkreter. Wir wollen Ziele definieren, die wir innerhalb der Schreibsitzung im Stande sind zu erreichen. Jeder noch so kleine Schreiberfolg nach einer Sitzung wir unsere Verpflichtung und Motivation stärken. 

Gegenwind für die Selbstsabotage 

Verpflichtung, Regelmässigkeit und klare Aufgaben- und Zieldefinitionen sind Mittel, um dem Gegenwind, dem Widerstand zu trotzen. Aber der Widerstand ist stark und weht uns immer wieder aufs Neue entgegen. Teil der No-Bullshit-Einstellung ist es, den Widerstand als Realität zu akzeptieren und Wege zu finden, ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sabotieren wir die Selbstsabotage. 

Lektüreempfehlung 

Steven Pressfield (2012): Turning Pro. Tap Your Inner Power and Create Your Life’s Work. (Black Irish Entertainment)